28.12.2003
Lieber Stefan,
über deinen Brief vom 30.11. und das Buch von Postone habe ich mich richtig gefreut. Ich habe große Lust, den Briefwechsel mit dir weiterzuführen, insbesondere über den „Wert“begriff, den wir scheinbar sehr unterschiedlich verstehen. Du hast diesem und anderen Gebieten einen bedeutenden Vorsprung vor mir, denn ich habe die Bedeutung der freien Software und der „Wissensökonomie“ erst gegen 1995 entdeckt. Ein Gespräch mit Richard Barbrook, in „New Times“, war der Auslöser.34 Das Gespräch, in „Multitudes“ no 8, war für meine weitere Erziehung wichtig. Dass der dort als „Stefan Mertens“ identifizierte „Gründer von Oekonux“ eigentlich Stefan Meretz heißen muss, entdeckte ich erst beim Wiederlesen dieses Gesprächs vor ein paar Monaten.35
Lieber Stefan, bevor ich auf die kontroversen Fragen eingehe, muss ich noch einen für die Festschrift eines alten Freundes und Widersachers (Oskar Negt) versprochenen Beitrag fertigschreiben.36 In ca. zwei Wochen sollte mir das gelungen sein.
Postone habe ich mit großem Interesse angefangen. Und dabei fiel mir plötzlich auf, dass er eine These ausarbeitet und legitimiert, die ich 1980 (im Abschied vom Proletariat37) einfach hingehaut hatte. Faszinierend! Ich hatte seit langem nicht mehr daran gedacht. Postone unterscheidet ebenfalls (sich auf die Grundrisse stützend) Wert von Reichtum. Ob er daraus gesellschaftspolitische Schlüsse („jenseits von Wert und Ware“) zieht, ist die spannende Frage.
Es hat alles geklappt, ich bin dir sehr dankbar: Franz Schandl hat mir eine Auswahl der „Streifzüge“ geschickt, und auch einige seiner älteren Schriften. Seine „Metakritik des Tauschs“38 finde ich hervorragend-anregend. Von der krisis-Gruppe bekam ich mehrere Hefte, auch das letzte (27), mit seinen vier kritischen Beiträgen zum „Manifest gegen Arbeit“. Das Manifest hat mich nicht besonders begeistert. Die vier kritischen Beiträge finde ich richtig.
Im nächsten Brief muss ich auf den Unterschied zwischen Information (die digitalisiert und warenförmig werden kann) und Wissen (gemeint ist von den Negristen immer lebendiges W.) zurückkommen.
Lieber Stefan, du hast mir eine große Freude gemacht! Ich wünsche dir alles Gute für das kommende Jahr und grüße dich herzlich.
André.
34 Vgl. Richard Barbrook 1998.
35 Gorz irrt, es liegt keine Verwechselung vor. Es handelt um ein Interview von Joanne Richardson mit Stefan Merten (*1963), Informatiker und Gründer des Oekonux-Projektes, das die Zeitschrift Multitude in französischer Übersetzung veröffentlichte: multitudes.net/Logiciel-libre-et-ethique-du (engl. Original: subsol.c3.hu/subsol_2/contributors0/mertentext.html).
36 Oskar Negt (*1934), deutscher Sozialphilosoph. Beitrag zur Festschrift vgl. André Gorz 2004.
37 Vgl. André Gorz 1980a.
38 Vgl. Franz Schandl 1999.