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Vorwort

Mehr als zehn Jahre nach seinem Tod haben wir uns entschlossen unsere Korrespondenz mit André Gorz aus den Jahren 2003-2007 zu dokumentieren. Der Briefwechsel zwischen Gorz einerseits und Stefan Meretz und Franz Schandl andrerseits soll vor allem eines verdeutlichen: das ungemeine Interesse von André Gorz an der Wertkritik. Seine letzten Lebensjahre standen im Zeichen dieser Auseinandersetzung, einer kritischen aber durchaus lebhaften Rezeption, die von großer Sympathie und solidarischer Stimmung geprägt gewesen ist. Bände wie Wissen, Wert und Kapital (2003) resp. Auswege aus dem Kapitalismus (2009) sind nur unter diesen Voraussetzungen zu verstehen. So erklärt sich der deutliche Unterschied zwischen der französischen Schrift L’immatériel und der ein Jahr später erschienenen deutschen Fassung Wissen, Wert und Kapital erst vor diesem Hintergrund. „Ein gutes Drittel“ habe er auf deutsch neu geschrieben und dabei das Kapitel zum „Wissenskommunismus“ ergänzt.

Sein allerletzter Artikel wurde nicht zufällig in den Streifzügen publiziert. In diesem Aufsatz spricht er dezidiert von einem „kategorialen Bruch“a und in seinem letzten Buch Auswege aus dem Kapitalismus heißt es: „Aber der Kommunismus bedeutet weder Vollbeschäftigung noch Lohn für alle, sondern Abschaffung der Arbeit in der gesellschaftlich spezifischen Form, die sie im Kapitalismus hat, das heißt der Arbeit als Beschäftigung, der Arbeit als Ware.“b Das waren eindeutige Aussagen, die sich jede systemimmanente Vereinnahmung verbieten.

Das Hohelied der Arbeit und den Glauben an die revolutionäre Potenz der Arbeiterklasse, hatte Gorz ja bereits in dem viel beachteten Buch Abschied vom Proletariat (1979) hinter sich gelassen. Die Verwandtschaft unserer Kritiken war so zwar offensichtlich, aber doch brauchte es viele Jahre, bis hier Verbindung aufgenommen wurde bzw. ein Brückenschlag stattfinden konnte. „Viel zu spät habe ich die ‚Wertkritischen‘ entdeckt“c, schreibt er in einem Brief an Andreas Exner. Das stimmt, nur umgekehrt stimmt es noch viel mehr. Diese Entdeckung hat absurderweise ausgesprochen lange auf sich warten lassen, der produktive Kontakt wurde erst Anfang 2003 von Stefan Meretz angestoßen. Was darauf folgte, ist hier nachzulesen.

Die vorliegenden Briefe zeigen André Gorz als einen wachen und interessierten, kritischen und vor allem selbstkritischen Geist. Kennzeichen dafür sind etwa Schärfung und Präzisierung der Überlegungen zum Grundeinkommen, oder sein Bruch mit der von ihm einst forcierten „Dualwirtschaft“, einem Konzept, wo das Nebeneinander von heteronomer und autonomer Arbeit, also Lohnarbeit und freie Beschäftigung nicht nur als Übergangsmodell, sondern als anzustrebendes Zukunftsmodell fungierte. Gorz hat nicht nur diesbezüglich seine Kritik radikalisiert. Die Briefe können durchaus als dezidierte, wenn auch nicht systematische Belege für diese These herhalten.

 Unserer Korrespondenz, die immerhin mehr als 400.000 Zeichen umfasst, ist einiges zu entnehmen. Man lese die Erläuterungen und Reflexionen über Universalgüter oder die Passagen über die Krise der Messbarkeit des Tauschwerts u.v.m. André Gorz konfrontierte sich freudig bis euphorisch mit Robert Kurz und Moishe Postone, krisis, Streifzüge oder dem Keimform-Blog Es ist eine aufmerksame Annäherung, die aus diesen Zeugnissen spricht, die aber aufgrund der schwierigen Lebenssituation von André, vor allem bedingt durch die chronische Erkrankung seiner Frau Dorined, nicht noch intensiviert werden konnte. Insbesondere in den ganz späten Briefen spürt man auch die Müdigkeit. Sie werden kürzer und seltener.

Wir wünschen jedenfalls eine anregende und spannende Lektüre. Und unserem Freund André Gorz wünschen wir die Leser und Leserinnen, die er sich als Autor verdient. Nach wie vor und jetzt erst recht. Für viele ist ein überraschend aktueller André Gorz zu entdecken. Es ist lohnend ihn zu lesen und sich mit seinen Schriften zu beschäftigen. Unsere Veröffentlichung will dazu beitragen.

Stefan Meretz und Franz Schandl


a André Gorz, Seid realistisch – verlangt das Unmögliche, Streifzüge 40, Juli 2007, S. 6.

b André Gorz, Auswege aus dem Kapitalismus. Beiträge zur politischen Ökologie. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Rotpunktverlag, Zürich 2009, S. 13

c André Gorz an Andreas Exner, 5. Juli 2007, Streifzüge 41, November 2007, S. 13.

d Vgl. das berührende, inzwischen in 8. Auflage erschienene Buch Brief an D., Geschichte einer Liebe. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Rotpunktverlag, Zürich 2017.


Veröffentlicht in Briefe