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24.02.2005: Franz Schandl an André Gorz

Wien, am 24. Februar 2005

Lieber André,

entschuldige, dass es so lange gedauert hat. Zuerst war ich bei meinen Eltern, dann in Deutschland, aber auch sonst habe ich die Antwort vor mir hergeschoben. Eigentlich habe ich mir gedacht, dass die leidige Sache mit den Streifzügen aus der Welt wäre und bin nun etwas verwundert. Es fällt mir schwer meine Argumente zu wiederholen. Was gültig ist, steht in den Streifzügen und auf der Homepage. Dazu stehe ich, sowohl was Form als auch Inhalt betrifft.

Der Artikel in der Süddeutschen ist nichts anderes als ein spezifisches Exzerpt der Streifzüge-Fassung. Als ich dem zuständige Redakteur dein Buch als Thema vorschlug, war er zuerst abgeneigt, er hat mir in seiner Unwilligkeit auch ganz wenig Platz zugestanden, sinngemäß meinte er, das sei Schnee von gestern. So habe ich mich gefreut, dass die Rezension dann überhaupt erschienen ist. In der ersten Reaktion hast du dich ja mitgefreut (Fax vom 8.11), umso befremdlicher finde ich, dass du sie auf einmal schlecht findest (Fax vom 2.1.) Was nun? Aber ich denke, wenn wir hier Feldforschungen betreiben, dann wird das nirgendwohin führen.

Zur WOZ-Fassung ist eigentlich auch alles gesagt. Der Redakteur hat sie nicht nur umgeschrieben, er hat in ein Zitat von dir eingegriffen. Das ist der einzige Grund, warum etwas Verrücktes und Verkehrtes rausgekommen ist, nicht weil ich mich unverständlich ausgedrückt habe. Dass das Existenzgeld diesen Stellenwert einnimmt, ist kein Zufall, es ist doch bei dir eine durchgehende Forderung, auch wenn sich die Akzente verschoben haben. Noch dazu wird sie aktuell zu einem zentralen Gegenstand der Debatte. Warum also nicht ein Drittel der WOZ-Besprechung ihr widmen? Die publizierte Fassung ist übrigens auch um die Hälfte gekürzt betreffend die mir zugesagten Zeichen. Dass Kritik als Belehrung ankommt, kann schon sein, aber ich denke hier ist der Ärger über die verfälschte Stelle der Meister jeder weiteren Empfindung.

Den WOZ-Artikel habe ich nach seiner Veröffentlichung (was ich nicht bei allen Artikeln tun kann) noch einmal gelesen und war entsetzt. Siehe mein Brief vom 16.11. Die Stelle, die dich maßlos ärgerte, habe ich aber überlesen, auf ein entstelltes Zitat wäre ich gar nicht gekommen. Daher war deine Reaktion am 8.12 für mich auch völlig überraschend, wusste ich doch gar nicht, worum es geht, auch du hast es mir ja erst später mitgeteilt. Hier verärgert zu sein, halte ich für selbstverständlich. Das Fax war kurz und – so habe ich es gelesen – wollte mich beschämen. Dass du die Streifzüge noch nie hattest, habe ich zu diesem Zeitpunkt ja nicht gewusst.

Es ist etwas schiefgelaufen, es war aber absolut nichts schlecht durchdacht. Die Multiplikation der Rezension (Streifzüge, Süddeutsche, WOZ, Junge Welt, Homepages) war ebenso gewollt wie der Kontakt zum Freitag oder die von mir Ribolits nahegelegte Besprechung für die Schulhefte (ist erschienen, er hat gesagt, er schickt dir ein Exemplar zu). Es gab meinerseits keine Nachlässigkeit, die zu dieser Vertrauenskrise geführt hat, und ich werde mir das auch nicht einreden lassen. Ich fühle mich also durchaus missverstanden.

Noch eins: Mit dem „Du“ bin ich vorsichtig, aber das gilt ganz prinzipiell, hat absolut nichts mit deiner Person zu tun. Als du es mir angeboten hast, habe ich mich wirklich gefreut. Es gab keinen Moment, wo ich über das „Du-Wort“ unglücklich gewesen bin. Man sollte da nicht mehr hineininterpretieren, als der Fall ist.

So bin ich, ehrlich gestanden, über das letzte Fax unangenehm berührt. Es kann sogar sein, dass das gegenseitige Unverständnis hier einen Sieg davon getragen hat. Das wäre dumm. Viel lieber als dieses Hin und Her über eine verunglückte Rezension wäre mir die Fortsetzung unseres Schriftverkehrs vor der leidigen Sache. Der ist nun unterbrochen. Das tut mir aufrichtig leid.

Mit herzlichen Grüßen

(Franz)

Veröffentlicht in Briefe