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28.02.2005: Franz Schandl an André Gorz (Fax)

Wien, am 28. Februar 2005 (per Fax)

Lieber André,

Manchmal passieren Sachen, die einfach nicht passieren sollten. So zwischen uns beiden. Ich hab ziemlich lang zugewartet, weil ich insgeheim gehofft habe, dass nach diesem Fax von 2. Jänner noch was nachkommt. Nun ist dieser Brief gekommen und er hat mich sehr aufgebaut. Leider habe aber ich am Freitag Dir selbst einen geschickt, wo ich meiner ganzen Verärgerung Ausdruck verleihe. Möglicherweise hat der auch eine sehr selbstgefällige Note, mit der nun Du nur wenig anfangen kannst.

Dein jetziger Brief vom 23. Februar demonstriert Größe, und er sollte einen neuen Anfang setzen. Meiner hingegen, der da noch kommt, wäre – so wie Dein Schreiben Anfang Jänner – besser nicht geschrieben worden. So bitte ich Dich dieses Fax hier als gültig zu betrachten und den Brief, der da in den nächsten Tagen eintrudelt, einfach wegzuwerfen. Es ist besser so. Sonst bleiben zum Schluss zwei „Angerührte“ über und wir haben es tatsächlich geschafft, als Doppeldeppen wider Willen unser Verhältnis kaputt zu machen. Das wäre schade.

Resümieren wir noch einmal kurz: Dein letztes Buch ist kein schlechtes Buch, aber es ist von Deinen Büchern nicht das Beste. Du hast in Deiner Selbstkritik recht. Zwar ist es Dir in einigen Passagen gelungen, Deine Position noch einmal zu schärfen und zu radikalisieren (vor allem vorne, und ich habe das auch ausdrücklich gelobt), aber insgesamt ist es doch recht uneinheitlich geworden, und die Sache mit dem Basiseinkommen (unsere alte Differenz) halte ich für nicht richtig. Meine WOZ-Rezension ist als Resultat misslungen, ich kann zwar nichts dafür, es tut mir trotzdem leid.

Wenn Du aber die letzten Streifzüge genau liest, dann kannst Du sie auch als Hommage des Franz Schandl auf den André Gorz lesen. Ich würde Dir diese Interpretation wirklich gern ans Herz legen. Mein Anti-Arbeitsartikel (S. 7) beginnt nicht zufällig mit einem Zitat aus Deiner „Kritik der ökonomischen Vernunft“. Und die Besprechung selbst ist eine Aufforderung an die Leser, sich mit Gorz auseinanderzusetzen. Nicht zufällig sind zum Schluss Deine wichtigsten Bücher taxativ vermerkt. (S. 22)

Ich wollte auf einen bedeutenden Denker hinweisen, der einiges vorangebracht hat. Deine historische Leistung besteht darin, mit der Kritik an der Erwerbsgesellschaft, an Arbeit und Arbeiterklasse eine Tür, nein besser: ein Scheunentor aufgemacht zu haben. Vorher waren nur einige Ritzen offen gewesen. Heute beginnt sich diese Kritik zumindest in einigen Bereichen zu verallgemeinern. Dafür danke ich Dir.

Du hast mich übrigens nie beleidigt, aber doch verärgert. Aber der Ärger ist mit Deinem letzten Brief aus der Welt. Mich würde ausgesprochen freuen, wenn Du mir gelegentlich oder regelmäßig (ganz wie Du wünscht) mitteilst, wie es Deiner Frau und Dir geht, was Du von diesem oder jenem Artikel oder Buch hältst u.v.m. Ich lasse Dir die Streifzüge zukommen, die krisis, und auch alles andere, wovon ich mir denke, es könnte Dich interessieren. Und schreib auch wieder was über mich.

In einem hast Du schließlich auch recht. Man muss wirklich nicht alles so schrecklich ernst nehmen. Ansonsten wird aus dem Ernst Schrecken, und statt Möglichkeiten entstehen Feindschaften. Wenn Du mir nicht böse bist, ich will es auf keinen Fall sein. Wenn wir es bei der Freundschaft belassen und diese wieder aufleben könnte, wäre das ganz in meinem Sinne.

Deine Frau lag in ihrer Einschätzung übrigens nicht viel daneben, aber sie könnte doch auch einmal unrecht haben. An mir soll’s nicht liegen. Also: Nix Abschiedsbrief! Ich lese wieder von Dir.

Euch alles Gute

(Franz)

P.S.: Auch wenn Du kein Buch mehr schreiben willst, vielleicht lüstet Dich dieser oder jener Artikel. Die Streifzüge stehen Dir jedenfalls offen, auch für kurze Notizen. Wir haben übrigens gerade mit einer Debatte betreffend das Existenzgeld begonnen. Zwei Artikel sind in der nächsten Nummer (Ende März), weitere sollen folgen. Aber das ist hier eine Einladung, keine Aufforderung oder gar Verpflichtung.

Veröffentlicht in Briefe