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28.02.2005: Stefan Meretz an André Gorz

Berlin, 28.2.2005

Lieber André,

rund um dein Buch ist viel passiert! – Doch zunächst einmal vielen Dank für das Rezensionsexemplar, das mir der Verlag schickte, sowie für deinen reichhaltigen Brief nebst Anlage.

Vor ein paar Wochen sprach mich mein Chef-Chef an, weil er meinen Namen in deinem Buch gelesen hätte. Wir kamen ins Gespräch und in der Folge stellte sich raus, dass ihr euch gut kennen müsst: Es ist Martin Kempe, einer der TAZ-Gründer, der inzwischen Chef-Redakteur der ver.di-Zeitung „Publik“ und Leiter des Bereiches „Kommunikation“ ist (dem ich in der Internet-Redaktion auch angehöre). – Ich soll dich sehr herzlich von Martin grüßen!

Martin fühlte sich sehr inspiriert von deinem Buch und hat einen langen Artikel für die ver.di-Zeitung „Publik“ geschrieben (die Zeitung liegt bei, vgl. Seite 16).86 Dort behandelt er auch das Buch von Negt, das er aber, wie er mir gestand, eigentlich recht langweilig fand. Aber im Kontext von Negt, der bei ver.di einiges Ansehen genießt, war es ihm wohl leichter, den „französischen Philosophen André Gorz in marxistischer Tradition“ mit aufzunehmen. Über den Artikel haben Martin und ich kurz diskutiert. Auf der Grundlage grundsätzlicher positiver Bewertung kritisierte ich, dass das Buch über das von ihm aufgespannte „traditionalistische“ Schema vom „Herrschaftsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit“ nicht nur hinausgeht, sondern die neuen existenziellen Widersprüche wirklich sichtbar macht. Aber gleich mehr zu meiner Meinung. – Auf jeden Fall eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Dazu musst du wissen, dass ich bei ver.di nicht als politischer Sekretär arbeite und auch so nicht wahrgenommen werde, sondern als Informatiker bin ich in den Augen der meisten Kolleginnen und Kollegen wohl „der Techniker“. Allerdings ist mir diese Rolle, diese Trennung von der Politik von ver.di, auch ganz lieb, denn ich wollte die Politik von ver.di nicht vertreten müssen. Auch ver.di als relativ aufgeschlossene Gewerkschaft befindet sich mental und vor allem organisatorisch immer noch in der fordistischen Zeit und versteht nicht, dass die gewohnten Verteilungskämpfe vollständig perspektivlos sind – auch wenn die meisten es irgendwie spüren, da derzeit nurmehr „Abbau“ verteilt wird. Gleichwohl müssen die Abwehrkämpfe geführt werden, doch in ihnen steckt kein Ansatz einer Alternative.

Ich bin überzeugt, dass aus der bloßen Negation nicht etwas Neues zu schöpfen ist. Dazu bedarf es schon der „Negation der Negation“, also einer Vorstellung der „bestimmten Negation“, der Aufhebung. Jede theoretische Fassung einer bestimmten Negation setzt jedoch gleichzeitig eine wenigstens skizzenhafte Vorstellung einer anderen Form der Vergesellschaftung voraus, die nicht weniger leisten muss, als eine wertfreie Art und Weise der Re-/Produktion des gesellschaftlichen Lebens denkbar zu machen. Hier jedoch ist der Grad sehr schmal, ein Abkippen in den schlechten Utopismus liegt nahe. Das fürchtet Franz Schandl und andere Wertkritiker/innen: Sie möchten nicht dem vielfach beobachteten Fehler erliegen, eigene Wünsche auf Bewegungen zu projizieren, die „außerhalb“ liegen (früher ja auch räumlich fern: Nikaragua etc.). Das ist aber aus meiner Sicht eine gänzlich unanalytische und auch unwissenschaftliche Haltung: Die Projektionsgefahr besteht dann, wenn es sich eben um eine externe „Projektion auf etwas“ handelt, also nicht um eine historische Analyse von Entwicklungen, dessen Teil man selber ist. Obwohl sie selber um die Fiktion eines Außenstandpunktes wissen, nehmen sie diesen dennoch ein. Sie halten sich damit in gewisser Weise die Risiken vom Leib, der eine immanente Analyse immer unterliegt.

Wir haben dein Buch in einem kleinen Berliner Diskussionszirkel (mit Namen „Wege aus dem Kapitalismus“) diskutiert und wollen eine Veranstaltung dazu anbieten. Das ist der Entwurf zur Ankündigung:

Freitag/Sonnabend 8./9. April 2005

André Gorz – auf dem Weg in den Wissenskommunismus?

Vorgestellt und diskutiert wird Gorz‘ neues Buch Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Rotpunktverlag 2004.

Freitag, 19.00 Uhr, Vortrag und Diskussion

Stefan Meretz stellt den Inhaltes des Buches vor. Meretz korrespondiert seit längerem mit Gorz. Er ist Autor verschiedener Publikationen zur freien Software. Besonders beschäftigt ihn Frage, inwiefern die Praxisformen freier Softwareproduktion Keimformen einer möglichen Vergesellschaftung jenseits des Kapitalismus sein können.

Sonnabend, 10.00 bis 16.00 Uhr. Seminar zum Thema

10.00 Uhr einführender Beitrag von Ulrich Weiß

1. Von welchen Kommunismusvorstellungen geht Gorz in seinem Buch aus?

2. Bezüge von Gorz auf Marx‘ Annahmen zu den ökonomischen Voraussetzungen für eine mögliche Aufhebung des Kapitalismus

3. Erkenntnisfortschritte von Gorz im Vergleich zu traditionellen Marx-Rezeptionen

Anschließend Diskussion

Die Veranstaltung findet im Rahmen der „Hellen Panke“ statt. Die „Helle Panke“ ist die PDS-Landesstiftung in Berlin und bietet ein umfangreiches Programm zur politischen Bildung.87 Mit der PDS haben wir alle nichts (mehr) zu tun, aber dennoch relativ gute Beziehungen. Wir können die Räume nutzen und erhalten Ressourcen für solche Veranstaltungen. Für die „Helle Panke“ sind wir sicherlich so etwas wie „provokative Sonderlinge“, die ihrem normalen Programm ein paar „radikale“ Einsprengsel geben.

Ein paar Worte zu deinem Brief. Den Artikel von Slave Cubela aus „Express“ kannte ich nicht, vielen Dank für die Kopie. Ich will mal hinten anfangen, dort schreibt Cubela: „Und es gälte … Brenners Ergebnisse mit Blick auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie kategorial zu überprüfen.“ Eine solche „Überprüfung“ – oder konstruktiv: Grundlegung – muss aus meiner Sicht am Anfang stehen. Schon beim Lesen der wenigen Zitate hatte ich den Verdacht, dass es sich um eine Debatte linker Volkswirtschaftslehre handelt. Damit meine ich eine kategorial grundsätzlich warenform-immanente Diskussion, also eine, die im Prinzip die Logik der Warenproduktion als gegeben hinnimmt und nun nach – eben formimmanenten – Disharmonien forscht. Darauf deuten solche Sätze hin wie: „Entweder ist der Kapitalismus für Krisen anfällig oder er ist es nicht. Wenn er es nicht ist, macht es wenig Sinn, dann und wann eine Panne auszuweisen.“ Da ist die liberale VWL sogar weiter, die Krisen als Moment kapitalistischer Regulation („schöpferische Zerstörung“) anerkennt. Der Kapitalismus ist also nicht für Krisen „anfällig“, sondern er braucht Krisen, um Schranken, die seine innere und äußere Expansion behindern, weg zu räumen. Solche „Regulationskrisen“ sind jedoch grundsätzlich zu unterscheiden, von „Systemkrisen“. Während erstere Bewegungsfaktor der selbstreferenziellen Verwertungsmaschinerie sind und also auftreten und wieder verschwinden, sind zweitere keine punktuellen Ereignisse, sondern unwiederbringlich heranwachsende Verwerfungen, die der Kapitalismus im Sinne einer weitere inneren und äußeren Entfaltung nicht „produktiv“ nutzen, sondern denen er nur „ausweichen“ kann. Solche „Ausweichbewegungen“ beschreibst du in deinem Brief: Senkung der Lohnquoten durch Verlängerung der Arbeitszeiten, Plünderung von Gemeingütern durch Privatisierung usw. Das ist ein Rückfall in frühkapitalistische Zeiten der Produktion absoluten Mehrwerts und ursprünglicher Akkumulation, in eine Zeit der gewaltsamen Durchsetzung des Kapitalismus. Heute sind es zunehmend gewaltsamere Erscheinungsformen des Zerfalls des Kapitalismus. Ich halte also nichts von der These der „Revanche“ für die „soziale Marktwirtschaft“ – der Fordismus war die Blütezeit des Kapitalismus, des relativen Mehrwerts, der maximalen gesellschaftlichen Integration. Ich denke, dass sich auch die Herrschenden massive Sorgen machen um die sich vollziehenden Desintegrationstendenzen. Für die zwei Reaktionsformen stehen in gewisser Weise Europa und die USA: Europa mit dem Versuch der Reintegration und Konsolidierung ggf. auf niedrigerem Niveau (das Projekt EU) und die USA mit aggressiver Segregation nach innen und außen und Formen der indirekten und direkten Plünderung anderer Ökonomien (die neuen Kriege). Das alles natürlich nur der Tendenz nach. Ich lege dir dazu einen Artikel von Jürgen Elsässer aus der „jungen Welt“ vom 21.2.0588 bei sowie die beiden Teile einer Analyse von Werner Rügemer (junge Welt, 22. und 23.2.05)89.

Nach meiner Meinung sind also Analysen im Prinzip vorhanden, sie werden nur in einem unzureichenden kategorialen Rahmen gedeutet. Dabei ist auch klar, dass es keine Fakten geben wird, die als solche überzeugend den Nachweis der Überlebtheit des Kapitalismus führen werden. Das bedeutet nicht, dass ich gegen tiefgründige Analysen wäre, doch diese sprechen nicht für sich, sondern sind Realitätsbezug des kategorialen Rahmens, in dem sie gelesen und interpretiert werden.

Werner Rügemer liefert zum Beispiel eine Reihe von Erklärungen, warum horrende Gewinne trotz des Abbaus der Verwertung von Arbeitskraft gemacht werden. Durch brutale Einschnitte werden kurzfristig Extraprofite realisiert. Da diese nicht nachhaltig sind, sondern das Unternehmen strukturell zerstören, ist die Strategie immer befristet: nach fünf bis sieben Jahren zieht die „Investment-Kolonne“ weiter. Fazit: Der Kapitalismus zehrt langsam aber stetig seine Substanz auf. Es ist also kein Widerspruch, von der schwindenden Wertsubstanz auszugehen und gleichzeitig diese wahnwitzigen Gewinnexplosionen zu beobachten. Das Fatale ist aus meiner Sicht, dass dieses Nebeneinander von Abbau und Gewinnexplosion die personalisierende Sicht der „raffgierigen Manager“ und der „ausgebeuteten ehrlichen Arbeiter“ befördert – was substanziell schließlich die Quelle von Antisemitismus ist. Und es scheint die vulgäre Annahme des „Geld ist genug da“ augenscheinlich vorzuführen. (Da freut mich dann schon, wenn Attac-Deutschland das „Geld“ im Slogan weglässt und stattdessen richtigerweise davon spricht, dass „genug für alle“ da ist. Trotzdem ist der fundamentale Unterschied zwischen Reichtum und Geld nicht begriffen – das scheint mir mehr ein Formelkompromiss mit internen Kritikern zu sein.) Wenn ihr also damals „systemüberwindende“ Reformen diskutiert habt, dann hatte das auch seine objektive Grundlage in der grundsätzlichen Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus in den Sechziger und Siebziger Jahren. Die Entwicklungsfähigkeit gibt es heute nicht mehr, eine systemüberwindende Reformperspektive kann es heute nicht mehr geben. Mit Entwicklungsfähigkeit meine ich nicht „Anpassungsfähigkeit“, sondern gemessen an immanenten Kriterien der Verwertung die gelungene Vernutzung von Arbeitskraft.

Meine generelle Antwort auf die Frage, wo denn die Gewinne noch herkommen, lautet also: aus Privatisierung und Substanzabbau (c), aus dem Abbau von Arbeitskraft (v). Solcherlei „Gewinne“ aus früher einmal geschaffenem Wert und Minimierung von v bedeuten keine zusätzliche (Mehr-) Wert-Produktion, obwohl die Gewinne steigen und sich also auch positiv im Bruttoinlandsprodukt niederschlagen. Das „Wirtschaftswachstum“, das wie ein Fetisch angebetet wird, ist zu großen Teilen nicht vorhanden – es besteht zu Teilen auf dem „flüssig machen des Tafelsilbers“. Ich weiß nicht, ob man das auch in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) nachweisen könnte, da ja die bürgerliche Rechnungsweise eben nicht auf der Wertebene (die ja grundsätzlich unzugänglich ist), sondern auf der Preis- und Gewinnebene operiert. Was als realisierter Preis/Gewinn erscheint, kann sehr unterschiedliche „Wert-Quellen“ haben.

Nun inhaltlich zu deinem Buch. Zum einem finde ich es ganz hervorragend, denn es spricht die m.E. wichtigen Punkte unserer Zeit an. Das sehen allerdings nicht viele so, entsprechend unterbewertet ist die Rezeption. Ich habe einiges gelernt, besonders die Einblicke in die für mich verschlossene französische Diskussion war für mich interessant. Das nun folgende kleine „aber“ hebt diese positive Grundeinschätzung nicht auf und hat vermutlich mit meiner (eben sehr deutschen) Herangehensweise zu tun: Das Buch ist mir analytisch zu wage und begrifflich zu unklar. Genau das macht das Buch jedoch gleichzeitig für viele leicht zugänglich, denn irgendwie kann man sich immer vorstellen, was du jeweils meinst. Meine Suche nach analytischer Strenge und begrifflicher Klarheit ist da ein ungerechter Anspruch an das Buch. Viele können sich erst einmal wiederfinden: Die große Stärke des Buches ist die Mischung aus Radikalität und Anschlussfähigkeit.

Nun zwei Punkte kurz angetippt, die ich kritisch sehe. Punkt eins ist unser schon länger andauerndes Gespräch über die Messbarkeit des Wertes. Einerseits ist es natürlich richtig, dass die verschiedenen Tätigkeiten der Menschen, die letztlich ihr ganzes Leben ausmachen und die Voraussetzung dafür sind, dass – neben anderen Lebenstätigkeiten – Produkte als Waren hergestellt werden, nicht messbar sind. Das waren sie eigentlich auch schon immer – mit Ausnahme in der Sondersphäre der Warenproduktion mit ihrer quasi „kristallinen“ Erscheinungsform der fordistisch-tayloristischen Massenproduktion. Roswitha Scholz nennt das treffend Wert- und Wertabspaltungsverhältnis.90 Bislang hat das Kapital die wertabgespaltenen Bereiche, die vor allem von Frauen zu unterhalten waren, der Reproduktion der Arbeitskraft zugewiesen. In dem Maße wie die Wertproduktion in die Krise gerät, trachtet das Kapital in neuer Qualität danach, den wertabgespaltenen Bereich der Verwertung unterzuordnen. Aus meiner Sicht gelingt das aber nur „formell“, nicht aber „reell“ – siehe dazu meinen Gedankenversuch im letzten Brief.

Wie geht so eine formelle Subsumtion? Du zitierst es in deinem Buch Pierre Veltz91: „Die Arbeitszeit kann nicht mehr als Maßstab des geschöpften Wertes gelten. Entscheidend ist die Qualität der Koordination.“ – Ja, das ist aus meiner Sicht genau richtig, aber nicht, weil die Arbeitszeit nicht mehr messbar wäre, sondern weil in der Koordination eine „Gratis-Produktivkraft“ steckt, die sich das Kapital anzueignen vermag. Marx wies bereits für den Fall des Übergangs von der Manufaktur zur Fabrik darauf hin, „dass die aus Kooperation und Teilung der Arbeit entspringenden Produktivkräfte dem Kapital nichts kosten. Sie sind Naturkräfte der gesellschaftlichen Arbeit.“ (Kapital, Bd. 1, 407).

Was sich zu Marx‘ Zeiten jedoch nur auf den wertproduktiven Bereich in Fabrikproduktion bezieht, betrifft heute jegliche Lebensregung, die sich das Kapital „kostenlos“ zu nutze machen will. Wenn man so will, kommt es zu einer Auflösung des Wert-Abspaltungsverhältnisses, allerdings in einer barbarischen Form. Ökonomisch betrachtet entsteht bei der formellen Subsumtion menschlicher Lebenstätigkeit jedoch kein zusätzlicher Wert. Dennoch ist die Unterordnung attraktiv, weil die Kosten, mithin der Abzug vom geschaffenen Wert minimiert, also der (verbleibende Mehr-) Wert letztlich erhöht werden kann. Das „capital fixe being man himself“ ist der Schlüssel. Konstantes Kapital ändert jedoch seine Wertgröße nicht. Als „capital fixe“ ist der Mensch nicht reell subsumierbar, nur als variable Arbeitskraft, als Arbeiter. Vielleicht machte diese Tatsache Marx‘ Gelassenheit aus.

Die Unmöglichkeit der reellen Subsumtion der Wissensproduktion, die Unmöglichkeit der Organisation von Wissensschöpfung als kapitalproduktive Arbeit, ändert – wenn die These stimmt – den bisherigen Blick auf die Praxis unternehmensinterner Forschung: Dort handelt es sich um einen inkorporierten Sonderbereich, dessen Ergebnisse schon immer nur formell subsumierbar waren. Das ist vergleichbar mit den selbständigen Handwerkern, die unter dem Kommando des Manufakturbesitzers ihre Produkte herstellen und an den Besitzer abgeben müssen und dafür entlohnt werden. Diese formelle Subsumtion wurde erst in dem Maße zur reellen, wie es gelang, die Menschen als Arbeiter zu Organen des maschinellen Arbeits- und Verwertungsprozesses zu machen. Das wiederum funktioniert mit der Wissensschöpfung nicht, oder jedenfalls nicht mehr. Vielleicht wäre hier noch deine Unterscheidung von instrumentellem und lebendigem Wissen einzubringen – aber da bin ich mir nicht sicher.

Punkt zwei betrifft einen Satz, der auch ziemlich am Anfang steht: „Das Herz der Wertschöpfung ist die immaterielle Arbeit“. Zu der Frage, ob das Begriffspaar „materielle vs. immaterielle Arbeit“ analytisch weiterhilft, habe ich einmal für eine Veranstaltung ein Thesenpapier geschrieben.92 Ich lege es dir auch bei. Darin versuche ich in aller Kürze zu entwickeln, warum ich das Begriffspaar „produktive vs. unproduktive Arbeit“ für geeigneter halte.

Soweit einmal meine Gedankenspielereien. Ich stimme dir zu: Das Problem bleibt bestehen. Hier wäre eine Menge an gründlichen Analysen zu tun. Das kann ich im Moment nicht leisten, aber es fasziniert mich ungemein, weil ich hier die Schlüssel zum Verständnis einer neuen Epoche, einer Transition, liegen sehe. Dennoch möchte ich auch nicht besserwisserisch erscheinen. Dafür gibt es keinen Anlass, denn ich weiß es nicht besser, sondern habe nur viele Fragen und Gedankenfragmente, die ich zur Diskussion beisteuern kann. Nur leider gibt es so wenig Partner, mit denen ich ein gewisses gemeinsames kategoriales Grundverständnis finde, von dem aus wir weiterdenken könnten. Auch in dem oben genannten Kreis „Wege aus dem Kapitalismus“ ist das beileibe nicht so. Hier gibt es zwei Untergruppen, eine eher traditionsmarxistisch orientierte und eine eher wertkritische Teilgruppe. Immerhin können wir noch miteinander reden und gemeinsam Veranstaltungen organisieren und haben uns nicht so unsinnig zerstritten wie die Krisis/Exit-Gruppe.

Ich freue mich also nach wie vor sehr, dass ich mit dir korrespondieren darf. Das ist für mich bereichernd und befriedigend.

Herzliche Grüße

(Stefan)


86 Vgl. Martin Kempe 2005.

87 Durch Zusammenschluss der PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) mit der WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) entstand 2007 die Partei Die Linke. Die Landesstiftung „Helle Panke“ wurde zum Teil der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der parteinahen Stiftung der Partei Die Linke.

88 Vgl. Jürgen Elsässer 2005.

89 Vgl. Werner Rügemer 2005.

90 Roswitha Scholz (*1959), deutsche Publizistin und Buchautorin, Mitglied der Redaktion der Zeitschrift EXIT.

91 Pierre Veltz (*1945), französischer Ingenieur, Soziologie und Ökonom.

92 Vgl. Stefan Meretz 2002.

Veröffentlicht in Briefe